“Wir planten die Zukunft, doch sie war schneller.”
Die Initiative Kommune 360° ist immer auf der Suche nach innovativen und spannenden Beispielen aus der kommunalen Praxis. Unser Fokus liegt dabei auf integrierten Planungsprozessen in der Jugendhilfeplanung. Heute geht der Blick in den Süden Deutschlands. Bereits seit 2006 arbeitet der Landkreis Erlangen-Höchstadt mit acht Leitprinzipien in der Jugendhilfeplanung, um bedarfsorientiert und dynamisch auf die gesellschaftliche Ausgangslage reagieren zu können. Welchen Herausforderungen man dabei begegnet und welche Gelingensfaktoren sich identifizieren lassen und was so ein Prozess eigentlich mit Organisationsentwicklung auf kommunaler Ebene zu tun hat, können Sie im folgenden Interview erfahren. Susanne Friedrich, die Jugendhilfeplanerin des Landkreises, berichtet aus der Praxis.
Warum hat sich der Landkreis Erlangen-Höchstadt entschlossen, seine Kinder- und Jugendhilfeplanung dynamisch und bedarfsorientiert aufzustellen?
Der klassische Planungsansatz sieht vor, zu Beginn eine umfassende Bestandserhebung und Bedarfsermittlung durchzuführen. Damit erhält man einen Ausschnitt der Wirklichkeit zum Zeitpunkt X. Aber was niemand wissen kann, ist: „Wären die Ergebnisse etwas früher oder später (also z.B. im Frühling oder Herbst statt im Sommer) vielleicht anders ausgefallen?“ Und dann, wie Sie schon sagten: „Wir planten die Zukunft, doch sie war schneller.“ Die Bedürfnisse und auch der Lebensraum, die Wertvorstellungen und Rollenzuweisungen der Kinder und Jugendlichen ändern sich immer schneller. Dazu kommt, dass im klassischen Planungsprozess die Zukunft als „lineare Entwicklung“ vorausgesetzt wird. Dabei ist die Zukunft nicht berechenbar, sondern eine Vielzahl von Szenarienvariationen mit großer Streubreite. Je weiter man versucht, die Zukunft vorherzuahnen, um so ungenauer die Prognosemöglichkeit.
Ein dauerhaftes Bestands- und Bedürfnismonitoring ist dagegen viel aussagekräftiger. Darum entschied sich die Jugendhilfeplanung im Landkreis Erlangen-Höchstadt für den Ausbau strategischer Netzwerke mit möglichst weit verzweigten „Bedürfnissensoren“ und einer flexiblen und jährlichen Planungssystematik.
Was sind die größten Herausforderungen ihrer täglichen Arbeit als Jugendhilfeplanerin? Was hat Sie dabei überrascht?
Das zentrale koordinierende Gremium der Jugendhilfeplanung ist neben drei weiteren Unterausschüssen der Unterausschuss Jugendhilfeplanung. Die enge Kooperation zwischen Politik, freien Trägern und Verwaltung bedeutet einen interdisziplinären Blick auf die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen und bringt unterschiedliche Interpretationen und Handlungsansätze der verschiedenen Akteure mit sich. Sich da gegenseitig gut zuzuhören und zu versuchen, die verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen und in eine gemeinsam getragene Maßnahmeplanung münden zu lassen, ist manchmal aufwendiger als erwartet. Aber es überrascht mich immer wieder, mit wieviel Geduld, Engagement, gegenseitiger Wertschätzung und Fachlichkeit die Diskussionen geführt werden. Das gemeinsame Ringen um die beste Lösung im Sinne der Kinder und Jugendlichen lohnt sich und die Ergebnisse sind am Ende immer von hoher Qualität.
Eine dynamische und bedarfsorientierte Jugendhilfeplanung erscheint voraussetzungsvoll, welche Gelingensfaktoren können Sie für Ihren Landkreis identifizieren?
Die Umstellung wurde damals, im Jahr 2014, von der Politik, den freien Trägern und der Verwaltung gleichermaßen gewollt und getragen. Das Konzept wurde durch die Mitglieder des Unterausschuss Jugendhilfeplanung selbst entwickelt und von Jugendhilfeausschuss und Kreistag beschlossen. Damals wie heute sind die Mitglieder der Jugendhilfeplanung bereit, interdisziplinär auf Augenhöhe zu diskutieren und sich intensiv zu engagieren. Die Verwaltung ist bereit, sehr transparent zu arbeiten und integriert auch Expertisen, die außerhalb der zuständigen Sachbearbeiter verortet sind. Aber am wichtigsten ist sicherlich die gemeinsame Blickrichtung auf das Wohl der Kinder, Jugendlichen und Familien im Landkreis.
Ganz konkret: Wie arbeiten Sie mit freien Trägern der Jugendhilfe und der Kommunalpolitik zusammen? Welche Gremienstrukturen und welche Kultur der Zusammenarbeit pflegen Sie miteinander?
Die Jugendhilfeplanung findet in vier Unterausschüssen mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten statt. Dabei ist der Unterausschuss Jugendhilfeplanung das zentrale Diskussions- und Entscheidungsgremium, auch im Hinblick auf Empfehlungsbeschlüsse für den Jugendhilfeausschuss. Der Unterausschuss Jugendhilfeplanung besteht aus 16 Mitgliedern aus Politik, freien Trägern und Verwaltung. Der oder die Vorsitzende wird zu Beginn der Wahlperiode vom Unterausschuss Jugendhilfeplanung bestimmt. Die Mitglieder werden entsprechend der Wahlperioden alle 6 Jahre vom Jugendhilfeausschuss bestimmt. Zu Beginn der Wahlperiode entwickeln die Ausschussmitglieder Leitlinien für das jugendpolitische Handeln im LK. Diese Leitlinien werden vom Jugendhilfeausschuss und Kreistagbeschlossen und bilden die Grundlage der Arbeit. Jeweils zum Jahresbeginn kommt der Unterausschuss Jugendhilfeplanung in einer Klausurtagung zusammen und entwickelt die, an den Leitlinien ausgerichtete, Jahresschwerpunktplanung und evaluiert die Maßnahmen des Vorjahres. So können zeitnah Lösungen für aktuelle Bedarfe erarbeitet werden.
Welche Fähigkeiten bringen Sie als Jugendhilfeplanerin mit, um integrierte Planungsprozesse erfolgreich steuern zu können und was möchten Sie an Methoden, Wissen oder anderem noch lernen?
Erfahrung und Freude am Projektmanagement und in der Netzwerkarbeit, Neugier und Flexibilität. Ganz zentral ist aber auch die Haltung, dass die besten Lösungen nicht durch ein Monopol auf fachliche Expertise, sondern durch das Vertrauen in Kooperationsprozesse entsteht.