Unsere moderne Welt ist VUCA. Das heißt, sie ist geprägt von: Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Die vier Begriffe spiegeln unterschiedliche Einflüsse auf unsere Gesellschaft und damit stetig einhergehende Veränderungen wider. VUCA gilt dementsprechend nicht nur für Krisenkontexte, sondern immer. Was bedeutet das für Kommunalverwaltungen im Kontext kooperativer Zusammenarbeit?
Im Mai 2023 brachten die Intersectoral School of Governance Baden-Württemberg (IsoG) und die PHINEO gAG Menschen aus den drei Sektoren Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft zu einem Workshop zum Thema intersektorale Kooperation in Krisenzeiten zusammen. Der zweitägige Workshop widmete sich der Frage, wie sektorübergreifende Kooperation trotz aller Herausforderungen gelingen kann und welche Chancen Krisen als Gestaltungsmoment bietet. Für den K360-Blog fasst Nancy Weber dos Santos, Teil des K360-Teams und Mitarbeiterin bei PHINEO, die vier für sie wichtigsten Erkenntnisse aus dem Workshop zusammen.
1. Wir müssen Krisen sehen, um mit ihnen umgehen zu können.
Krisen sind komplex und ihre Auswirkungen schwer greifbar. Einfache Wirkungsbeziehungen sind in Krisenkontexten nicht möglich. Hinzu kommt, dass die Ursachen einer Krise oft erst dann erkennbar sind, wenn sich ihre Wirkung bereits entfaltet oder der Schaden groß ist. All das verunsichert uns Menschen. Wir reagieren zurückhaltend, ausweichend oder vermeidend. Diese Abwehrhaltung ist normal. So zu tun, als seien krisenbedingte Veränderungen nicht da, ist aber keine Lösung.
Menschen werden dann aktiv und übernehmen Verantwortung, wenn sie sich ihren Herausforderungen bewusst sind und handeln können. Je offener man sich den Herausforderungen stellt – also die Krise als solche wahrnimmt, desto schneller kann man notwendige Lösungen erarbeiten.
Komplexität steht auch für Mehrdeutigkeit. Dementsprechend bringen krisenbedingte Veränderungen nicht nur Probleme, sondern auch Chancen. So führen Krisen oft dazu, den Status Quo zu hinterfragen – einfach, weil er nicht mehr funktioniert. Wer die eigene Arbeitsweise bzw. die Art der Zusammenarbeit im Team oder in Gremien selbstkritisch hinterfragt, kann Fehler erkennen und beheben. So kann durch Krisen z.B. auch eine konstruktive Lernkultur entstehen. Davon profitieren Mitarbeitende und Teams langfristig – auch außerhalb von Krisen.
2. Agiles Arbeiten gibt Struktur und Klarheit in Krisen.
Immer noch hält sich der Mythos hartnäckig, dass Agilität mit sehr viel Flexibilität und Willkür zu tun hat. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Agiles Projektmanagement eignet sich sehr gut für Projekte mit unklarem Endergebnis. Darum bietet SCRUM, als eine Methode für agiles Arbeiten eine praktikable Struktur für intersektorale Kooperationen. Das macht sie für Krisenkontexte interessant. Warum ist das so?
1. Alle Mitglieder eines Scrum-Teams kennen ihre Aufgaben und Verantwortungen, da es nur drei Rollen (Product Owner, Scrum Master, Umsetzungsteam) gibt.
2. Wiederkehrende Meetingformate in immer gleichen zeitlichen Abständen geben dem Scrum-Prozess seine Struktur.
3. Jedes Meeting wird gut vorbereitet: Es gibt eine Agenda. Materialien werden vorab versandt. Die Teilnehmenden erscheinen vorbereitet und sind sich dem Projektziel bewusst. Die Moderation achtet auf die Zeit und sorgt dafür, dass alle mit konkreten Verabredungen aus dem Treffen gehen.
4. Durch die fest verankerten, regelmäßig stattfindenden Reflexionen der Abläufe und der Zusammenarbeit werden Verbesserungspotenziale schnell erkannt und umgesetzt.
Das Besondere an einem Scrum-Team ist die Rolle des Umsetzungsteams. Es setzt sich aus einer Gruppe interdisziplinär aufgestellter Expert:innen und Fachleute zusammen, in der es keine Hierarchien gibt. Das Umsetzungsteam übernimmt als Einheit Verantwortung dafür, den bestmöglichen Weg zum bestmöglichen Ziel zu finden. In den gemeinsam entwickelten Ansätzen dieses multiperspektivisch aufgestellten Teams liegt großes Innovationspotenzial. So steigen die Chancen dafür, eine für die Zielgruppe nachhaltig gute Lösung zu finden.
Haben Sie Lust, mehr über die Strukturen und Abläufe eines Scrum-Teams zu erfahren? Dann empfehlen wir Ihnen diesen Artikel der Verwaltungsrebellen sowie unsere Wolfsburg-Folge des Kommunen-Podcasts. Darin finden Sie Anregungen dazu, wie sich Scrum-Elemente speziell in der Verwaltung umsetzen lassen.
3. Mit Kooperationen Schauen Sie zuversichtlicher in die Zukunft.
Kooperationen lohnen sich. Das ergab eine Studie des Instituts für kommunale Planung und Entwicklung e. V. (IKPE) zur „Zukunft der kommunalen Planung – Lernen aus Krise(n)“, (Soliman et al. 2022). Demnach haben stabile Netzwerkstrukturen die Pandemiezeit gut überstanden. Lose Netzwerkverbindungen wurden hingegen geschwächt oder lösten sich auf. Die Studie belegt empirisch, dass Kooperationen zu stabilen internen Lernprozessen beitragen. Sie bewahren so langfristig die Handlungsfähigkeit des Netzwerks.
Doch wie findet man relevante Kooperationspartner:innen, die an ähnlichen Zielen arbeiten? Wer sind Organisationen, Gruppierungen, Individuen o. ä., mit denen gemeinsam struktureller Einfluss z.B. auf Politik oder Verbände genommen werden kann? Stakeholdermaps helfen dabei, bereits vorhandene sektorübergreifende Netzwerkstrukturen zu sortieren und blinde Flecken zu identifizieren. Die Übung und dazugehörige Vorlagen aus dem Workshop finden Sie hier.
Die Teilnehmenden des Workshops bestätigten, dass der Austausch im Netzwerk gerade in schwierigen Zeiten hilfreich war. Die gemeinsame Bewältigung von Herausforderungen stärkte ihre Motivation. Dank der Kooperationen innerhalb des Netzwerkes blicken sie zuversichtlicher und motivierter in die Zukunft. Gehen Sie also mutig voran – es lohnt sich!
4. Das alles gilt auch außerhalb von Krisen.
Veränderungen treten nicht nur im Kontext von Krisen auf. Umstrukturierungen, Personalwechsel und andere Arten von Disruptionen des Arbeitsalltages bieten genauso Anlässe zur Reflexion der eigenen (Zusammen-)Arbeit.
Niemand muss auf die Krise warten, um das beschriebene Gestaltungspotenzial nutzen zu können. Ganz im Gegenteil: Wer agiles Arbeiten und Kooperation außerhalb von Krisen im Arbeitsalltag verankert, wird im Krisenfall schneller und stärker davon profitieren. Wer nicht nur auf Probleme, sondern auch auf Chancen und Handlungsansätze achtet, kann aus Hürden, Sprungbretter bauen.
Über den Workshop
Der Workshop “Intersektorale Kooperation in Krisenzeiten” stellt selbst ein Beispiel für Kooperation in Netzwerken dar. Er ist das erste Kooperationsprojekt zwischen der PHINEO gAG (konkret dessen Initiative Kommune 360°) und der ISoG. Das Team musste für sich zunächst passende Strukturen und Abläufe finden, in denen sie den Workshop erarbeiten konnten. Die Herausforderung: Zunächst als PHINEO-Team die Auswahl an Methoden und Tools treffen und dann diese Inhalte mit denen vom ISoG zusammenführen, sodass wir trotz unterschiedlicher Perspektiven und Inhalte entlang eines roten Fadens erzählen konnten.
Der offene Austausch gab dem Team in diesen Phasen wertvolle Sicherheit in der Zusammenarbeit. Unser gemeinsamer Antrieb bestand darin, dass wir zusammen ein besseres Angebot für die Zielgruppe erarbeiten können. So entstand eine Kooperation auf Augenhöhe, basierend auf Vertrauen und gemeinsamen Visionen.
Vielen Dank im Namen des K360-Teams an Prof. Dr. Monika Gonser, für die bereichernde Zusammenarbeit und die inspirierenden Inputs. Und einen herzlichen Dank an alle Teilnehmenden, die durch ihre offene und neugierige Haltung unseren Workshop bereicherten. Es hat große Freude bereitet!