Ach, Berlin! Jedes dritte Berliner Kind ist von Armut betroffen. Die Auswirkungen auf Gesundheit, Bildung und Teilhabe – kurz: Chancen für jedes Kind auf ein Leben in Wohlergehen – sind hinreichend bekannt. Sie sind fatal und schlicht nicht akzeptabel.
Wir im Projekt MitWirkung – Perspektiven für Familien unterstützen die Berliner Bezirke beim Auf- und Ausbau von Präventionsketten und stellen hier mit den beteiligten Fachkräften vor allem eine Frage: Was kommt tatsächlich bei Familien – und besonders bei Familien in Armutslagen – an? Leider ist die Antwort in aller Regel: Viel zu wenig! Unterstützungsangebote der Familienzentren, Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, Zugänge zu Angeboten rund um die Geburt – also Dienstleistungen, die es in jedem Bezirk gibt – schaffen es leider viel zu selten, Kinder und Familien in Armutslagen tatsächlich zu erreichen und so einen Beitrag zum Abbau ungleicher Chancen zu leisten. Das muss sich ändern!
So denken auch die engagierten Fachkräfte aus den beteiligten Bezirken – Mitarbeitende in koordinierenden Funktionen aus den Bereichen Jugend, Gesundheit und Gesundheitsförderung. Sie lassen sich zu Wirkungsbeauftragten ausbilden und tragen ihr Wissen weiter in die bezirklichen Strukturen. Die eigene Arbeit auf ihre Wirkung zu reflektieren, braucht Mut und Veränderungswillen.
„Wer sagt, was gut ist?“ Natürlich die Familien selbst! Über Fragebögen, Interviews und Fokusgruppen werden einzelne Bausteine der Angebotslandschaft für Kinder und Familien in belastenden Lebenssituationen in den Blick genommen. Hier lassen sich jetzt erste Erkenntnisse ableiten, die einen zentralen Beitrag für (armuts)-sensibles Planen, Steuern und Handeln bieten.
- In Tempelhof-Schöneberg fragt man sich: Was halten Familien mit Neugeborenen eigentlich von der bezirklichen Willkommensmappe, die ihnen beim Ersthausbesuch des Bezirks überreicht wird? Zu viel Information? Zu wenig Information? Die richtige Sprache? Die richtige Ansprache? Eins ist hier schon einmal deutlich geworden: Wichtiger als die Mappe selbst ist der Kontakt und das vertrauensvolle Gespräch während der Übergabe.
- Wer Charlottenburg-Wilmersdorf hört, denkt möglicherweise nicht zuerst an Familien in belastenden Lebenssituationen und dennoch sind die Einkommensunterschiede bemerkenswert hoch und gerade im nördlichen Bezirk die Sozialdaten besonders ungünstig. Die Wirkungsbeauftragten gehen mit einer Online-Erhebung den Fragen nach, wie es Eltern gelingt, das gesunde Aufwachsen ihrer Kinder zu begleiten, was für sie hier wichtig ist und welche Unterstützung sie sich dabei im Bezirk wünschen. Interessant ist schon einmal, dass die Antworten der Fachkräfte und der befragten Familien durchaus unterschiedliche Bedarfe erkennen lassen. Eine gute Basis, um innerhalb der Verwaltung und mit Trägern und Familien ins Gespräch zu kommen!
- Mindestens #100Stimmen gegen Kinderarmut kommen aus Lichtenberg: Eine starke Haltung, politischer Wille, und Rückenwind – sogar eine bezirkliche Strategie gegen Kinderarmut – beste Voraussetzungen für die Arbeit der Wirkungsbeauftragten. Gleich in vier AGs und mit rund 70 Fachkräften wird wirkungsorientiert und konkret an den Fragen gearbeitet, wie Zugänge, Übergänge und Angebote aussehen müssen, damit Kinder und Familien in Armutslagen davon profitieren. Unter anderem wurde ein wirkungsorientiertes Konzept zur Einführung von Schulgesundheitsfachkräften entwickelt – und in die Tat umgesetzt. Aber damit nicht genug, im nächsten Schritt hat sich der Bezirk gleich das Bildungs- und Teilhabepaket vorgenommen. Ein Großteil der bereitgestellten Unterstützungsgelder für Klassenfahrten, Mittagessen, Sportverein erreicht nicht diejenigen, für die es gedacht ist – und wenn doch, geht die Unterstützung leider oft mit einer starken Stigmatisierung einher: „Die BuT-Kinder beim Essen bitte links anstellen!“ Armutssensibilität ist leider oft Fehlanzeige. Die 1. Lichtenberger Strategiekonferenz zum Thema BuT hat viele relevante Akteur:innen aus Verwaltung und Politik, Bezirk und Land zusammengebracht und neben der Ursachenforschung vor allem die Lösung in den Fokus genommen.
- In Friedrichshain-Kreuzberg haben sich die Wirkungsbeauftragten auf den Weg gemacht und untersuchen gemeinsam mit den Fachkräften aus den Familienzentren und dem Kinder- und Jugend-gesundheitsdienst die „Willkommen Baby“-Veranstaltungen für junge Eltern: „Erreichen wir mit den Willkommensveranstaltungen auch Familien in Armutslagen? Und was bedeutet die Antwort für unser bezirkliches Planen, Steuern und Handeln? Gemeinsam wurden passende Fragebögen und Interviewleitfaden entwickelt und auf den Weg gebracht. Die Covid19-Pandemie brachte zwar die Willkommensveranstaltungen und somit auch die Befragungen zum Erliegen, nicht aber das große Engagement der Beteiligten im Bezirk, die sich nun umso mehr mit der Herausforderung beschäftigen, die Familien zu erreichen, die Unterstützung dringend benötigen.
- In Marzahn-Hellersdorf setzen die Wirkungsbeauftragten ihre Aktivität bei einem Projekt der Elternzentrierten Sozialarbeit an: Eltern sollen in der Kita und Schule ihrer Kinder eine niedrigschwellige und aktivierende Unterstützung erfahren. Um die Wirksamkeit von Beginn an begleitend zu untersuchen, wurde gemeinsam mit den Fachkräften aus Kita und Schule ein Evaluationskonzept entwickelt. So werden die Perspektiven von Eltern und Fachkräften zu Beginn und im Verlaufe des Projektes eingefangen. Wirkungsorientierung bedeutet hier, gemeinsam zu schauen, was von den Angeboten, den Gesprächen, der wertschätzenden Begleitung bei den Eltern als Zielgruppe wirklich ankommt – und wie das Angebot ggf. angepasst werden muss.
Alle MitWirkenden werden durch das vierköpfige Team „MitWirkung – Perspektiven für Familien“ von Gesundheit Berlin-Brandenburg fortgebildet, in ihren Aufgaben unterstützt und ihren bezirklichen Prozessen systemisch begleitet. Zu schauen, wie wirksam man selbst ist, kann ein enormer Antreiber sein und zu immer neuen Erkenntnissen und Impulsen führen: – von manch einer Wirkungsbeauftragten hörte man, sie fühle sich „wie auf Wolke Sieben“ – nachdem die ersten Fragebögenrückläufe eintrudelten. In zwei von drei Jahren Projektlaufzeit wurde, trotz oder wegen der Pandemie, viel auf den Weg gebracht, Ressourcen wurden gebündelt, Netzwerke gesponnen, die eigene Haltung hinterfragt und vor allem geschaut, wie Kinder und Familien ins Zentrum bezirklicher Arbeit genommen werden können. Ziemlich gut.
Neben der Arbeit in und mit den Bezirken öffnet das Projektteam Räume, Räume für Veränderungen insbesondere in Verwaltungen. Kommunales Handeln trifft hier auf agiles Arbeiten, Public Service Design und innovative Ideen. Eine Veranstaltungsreihe, die Veränderungsimpulse und Best Practice Beispiele vorstellt und diskutiert. Immer mit dem Fokus: Wie muss die öffentliche Verwaltung aufgestellt sein, damit sie ihre Bürger:innen erreicht und Angebote nutzer:innenorientiert gestaltet werden.
Haben Sie Lust mehr über unser Projekt zu erfahren? Besuchen Sie gerne unsere Website www.mitwirkung-berlin.de oder schreiben Sie uns. Wir sind immer auf der Suche nach Mitstreitenden, Impulsgebenden, Kooperationspartner:innen, die mit uns „Räume öffnen“, Veränderungen gestalten und Politiker:innen davon überzeugen, dass Kinder- und Familienarmut in Berlin nicht länger ignoriert werden darf.
Gastautorin: Carolin Friebe, Mitarbeiterin für Kommunikation und Stakeholder-Beziehungen bei Gesundheit Berlin-Brandenburg, Projekt MitWirkung – Perspektiven für Familien.