Für die Bewältigung und Gestaltung komplexer Herausforderungen, Problemlagen und Krisen (gutes Aufwachsen und Teilhabe, Kinderarmut, Corona-Pandemie, Kriegsgeflüchtete etc.) braucht es das Zusammenwirken vieler kommunalen Akteure, aus der Verwaltung und Kommunalpolitik, der Zivilgesellschaft und freien Trägern sowie mitunter aus der Wirtschaft. Doch wie kann eine Zusammenarbeit in ressort- und sektorübergreifenden Planungs- und Koordinationsprozessen gelingen, obwohl meist alle Akteure ihre eigenen Interessen und Sichtweisen einbringen? Wir von Kommune 360° sind davon überzeugt: Es braucht mehr kommunale Kooperation für mehr kommunale Gestaltungskraft.
Doch was ist Kooperation eigentlich? Ist Kooperation in hierarchischen und marktorientierten Systemen überhaupt realisierbar? Was braucht es für gelingende Kooperation? Welche Instrumente, Prozesse, Strukturen helfen und vor allem: welche Haltung und Organisationskultur gehen mit mehr Kooperation einher? Und wie können grundlegende Veränderungen (Change) im System Kommune angeschoben und gestaltet werden? Wir denken, dass es auf diese Fragen in der Praxis und Wissenschaft noch keine ausreichenden Antworten gibt.
Einen Auftakt für eine intensivere Suche nach Antworten gab es in unserer letzten Online-Veranstaltung aus der Reihe “Kommune gestaltet!”: „KOOPERATIVE Kommune Was steht hinter (nicht) gelingender Zusammenarbeit?” (15.11.2022). Es folgt zum neuen Jahr ab Januar (endlich) die zweite Staffel des Kommunen-Podcasts ebenfalls zum Schwerpunktthema „Kooperatives Regieren in Kommunen – für gelingendes Aufwachsen“. Aber auch bei allen anderen Aktivitäten der Initiative Kommune 360° spielt Kooperation immer eine zentrale Rolle.
Rückblick auf unsere Veranstaltung „Kommune gestaltet!“ am 15. November 2022
Zunächst eine kurze Anmerkung technisch-organisatorischer Art: Wir entwickeln unsere eigene Veranstaltungs- und Community-Plattform (K360-HUB) nach und nach in kleinen Schritten weiter. Diesmal hatten wir für die Veranstaltung erstmalig eine Live-Streaming-Infrastruktur eingesetzt, u.a. für eine bessere Stabilität und Usability. Leider kam es anders: trotz vorheriger Tests gab es für uns unerwartet unmittelbar vor und während der Veranstaltung erhebliche technische Probleme. Wir bitten nochmals alle Teilnehmenden, dies zu entschuldigen.
Teil 1: Input von Benjamin von der Ahe (Kommune 360°)
Nach der Begrüßung sollte zunächst ein kurzer theoretischer Input in die Thematik einführen und ihr einen Rahmen geben, bevor wir uns dann dem eigentlichen Teil der Veranstaltung widmeten, den Erfahrungen und Perspektiven von zwei Gästen aus der kommunalen Praxis. Hier eine Auswahl und Zusammenfassung der Inhalte:
Eröffnungsfrage ans Publikum: Kooperation ist für mich …
Die Teilnehmenden konnten diese offene Frage im Feedback-Tool beantworten und/oder die Antworten der anderen Teilnehmende voten. Am häufigsten genannt und gevotet wurden:
- Abgestimmtes Handeln und Zusammenarbeit
- Gemeinsam ausgehandelte Ziele verfolgen
- Austausch und Zusammenarbeit auf Augenhöhe
- Transparenz, offener Austausch, Arbeitsteilung
- Wechselseitiger Austausch von Informationen, Interessen etc.
- Sich auf Augenhöhe begegnen, zusammenarbeiten.
- Synergien schaffen
- gelingende Zusammenarbeit
Begriff: Kooperative Kommune?
- Kooperation – lat. cooperatio: Zusammenwirkung, Mitwirkung, Mitarbeit
- Kommune – lat. communis: allgemein, gemeinschaftlich
Kooperation zur Koordination kommunaler Akteure
- Größere Organisationsstrukturen sind geprägt von horizontalen Barrieren (Silos, Versäulung) und vertikale Hierarchie-Barrieren. Im System Kommune bestehen solche Barrieren auch zu Akteuren aus den anderen Sektoren und zu den Bürger:innen selbst.
- Koordination meint die Ausrichtung verschiedener Akteure und kommunaler Teilsysteme über hinweg hin auf abgestimmte Ziele und Ergebnisse (Koordination und Steuerung sind Synonyme mit leicht unterschiedlichen Akzentuierungen).
- Für die übergreifende Koordination und Steuerung (über horizontale und vertikale Barrieregrenzen hinweg) gibt es verschiedene Steuerungs- und Governance-Ansätze.
Entwicklung Steuerungs-/Governanceansätze
- Hierarchische Steuerung ist als rechtlicher Rahmen vorgegeben, auch durch die Demokratie = Herrschaft des Volkes durch Wahlen im Sinne einer zeitlich befristeten bzw. delegierten Machtübertragung.
- Public Administration und Public Management sind relativ klar umschriebene Gesamt-Steuerungskonzepte. Vorhandene (Public-)Governance Ansätze sind meist weniger klar und konkret umrissen.
- Public Administration und Public Management betrachten die Bürger:innen als Objekt staatlichen Handelns. Sind dagegen im Public Governance auch die Bürger:innen Kooperationspartner:innen und Co-Produzent:innen staatlichen Handelns (vom Objekt zum Subjekt)?
- Die Public Management-Konzeption setzt auf eine stärkere Autonomie und Eigenverantwortung dezentralerer Organisationseinheiten. Deren Koordination erfolgt u.a. über Zielvereinbarungen und die Kopplung marktähnlicher Belohnungs- und Sanktionsmechanismen an den Zielerreichungsgrad. Problem: Es ist nicht möglich, den Zielerreichungsgrad von Wirkungszielen objektiv und flächendeckend für alle öffentlichen Leistungen zu erfassen (à Fehlsteuerungsrisiken).
- Was ist in Abgrenzung zu Hierarchie und Markt bei Public Governance-Ansätzen der zentrale Steuerungs-/Governance-Mechanismus? Netzwerk, Vertrauen, Kooperation, Beteiligung? Und wie genau funktioniert dieser Mechanismus?
Koordination und Steuerung: auch (oder vor allem?) eine Frage der Kultur
- Hierarchische, marktorientierte und kooperative Steuerungsansätze unterscheiden sich nicht nur auf der instrumentellen Sachebene. Ihnen liegen unterschiedliche Prämissen zu Grunde (Werte, Menschenbilder, wie funktioniert die Welt?)
- Empfehlung: Das Organisationskulturmodell von Edgar Schein differenziert mehrere Ebenen der Kultur und explizit die Ebene der meist unbewussten Grundannahmen, die er auch als DNA der Organisationskultur bezeichnet.
- Die weltweit in allen Kulturen verbreitete Gleichnis „Die blinden Männer und der Elefant“ veranschaulicht die systemische Sicht, dass Wahrheit und Erkenntnis eine Frage der Perspektive sind. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_blinden_M%C3%A4nner_und_der_Elefant
Teil 2: Interview und Diskussion mit Katharina Brederlow und Norbert Schug
- Gäste: Katharina Brederlow, Beigeordnete für Bildung und Soziales der Stadt Halle und Norbert Schug, Flensburger Stadterneuerung, Quartiersmanagement
- Moderation: Manuela Dorsch (Kommune 360°)
- Die beiden Gäste beantworten und diskutierten u.a. folgende Fragen aus ihrer kommunalen Erfahrungswelt:
- Welche Rolle spielt Kooperation in Ihrem Arbeitsalltag?
- Welche Rolle hat Führung Kooperation zu ermöglichen und ihr einen Rahmen zu geben?
- Wie funktioniert aus Ihrer Sicht die Kooperation mit der Zivilgesellschaft aber auch innerhalb der Verwaltung?
- Denken Sie an ein Erfolgserlebnis, das richtig gut geklappt hat, welche Faktoren waren da maßgeblich?
- Abschluss: Offene Frage an alle Teilnehmenden: Eine wichtige Voraussetzung für gelingende Kooperation ist … ? Am häufigsten genannt und durch die Teilnehmer:innen gevotet wurden:
- konstruktiver Umgang mit Konflikten
- Vertrauen
- Professionalität
- Dialog
- Rollenverständnis
- Offenheit für andere Strukturen und Bewertungen
- Respekt
- Aktive Mitwirkung
- Zeit, um Vertrauen zu entwickeln und Offenheit zu ermöglichen
- Wertschätzung für Pluralität und Vielfalt